Rückblick auf den 1. Fachtag der [um]bruch:stelle: „Übergang statt Bruchstelle – Was braucht es für eine faire Chance erwachsen zu werden?“
- Tom Adrian

- 15. Okt.
- 8 Min. Lesezeit
Ein Beitrag von Tom Adrian, Vorstandsmitglied [um]bruch:stelle

Am 02. Oktober 2025 veranstaltete der Verein [um]bruch:stelle seinen ersten Fachtag. Mit 120 Plätzen war die Tagung seit August ausgebucht und der selbst auferlegte Druck, ein hohes Niveau zu bieten, entsprechend groß.
Mit dem „Markhof“ wurde ein geeigneter Veranstaltungsort gefunden, der den Rahmen für eine motivierende Atmosphäre und den Austausch von fachlichem Know-How unterschiedlicher Disziplinen und Handlungsfelder bot. Nina Starzer moderierte uns durch den Tag.
Alle Präsentationen der Vortragenden gibt es auf unserer Website unter www.umbruchstelle.at/fachtag2025 zum Download – und haben wir für euch an dieser Stelle zusammengefasst:
Alban Knecht von der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten gab den inhaltlichen Start mit einer Keynote zum „Wandel des Sozialstaats und deren Auswirkungen auf arbeitsmarkintegrative Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche“.
Inhalt war eine komplexe Ergebnisanalyse aus Forschungen zu Jugendpolitik und Beschäftigungsförderung, zum Problemverständnis von Jugendcoaches und Jugendlichen selbst, sowie einer Analyse der Gesetzesänderungen des österreichischen Parlaments.
Ein Versuch den Inhalt dieses Vortrags kurz wieder zu geben, liest sich wohl so:
Die Ausbildungsverpflichtung wurde bei der Einführung euphemistisch in „Ausbildung bis 18“ umbenannt und in Werbungen als Chance „verkauft“. Es wird angenommen, dass Jugendliche sich diese Maßnahmen nicht freiwillig antun würden.
Ein Ministerialbeamter schreibt der pädagogischen Begleitung im Rahmen des Jugendcoachings die Aufgabe zu, „den Jugendlichen optimal zu organisieren“. Andere sprechen davon, man müsste die Jugendlichen „in die Lehre kriegen“ oder „in ein Praktikum schleusen“.
Zusammengefasst lässt sich interpretieren, dass hinter vielen Maßnahmen eine wirtschaftspolitische und sozialpolitische Legitimation steckt, bei der es wenig um die Jugendlichen selbst geht, jedoch viel um wirtschaftliche Interessen. Für die Jugendlichen bedeutet das eine immer stärkere Kanalisierung ihrer Lebensläufe. Mitbestimmung im Bereich der Beschäftigungsförderung ist kaum gegeben.
Wäre es vorstellbar, dass Jugendliche z.B. mitbestimmen, in welchen Berufen in der überbetrieblichen Ausbildung ausgebildet wird? Sollte nicht die Frage danach gestellt werden, wie man Motivation bei Jugendlichen generiert und die fehlende Selbstwirksamkeit minimiert?
Diese Fragen bleiben jedoch weiter offen.
Clara Baumann vom institut für finanzdienstleistungen e.V. (iff) in Hamburg hielt einen Vortrag zu „Schulden und Erwachsenwerden: Ausgangslage, Risiken und Präventionsansätze“, mit Fokus auf Jugendliche und Junge Erwachsene. Wir kennen jetzt den Unterschied zwischen Schulden, Verschuldung und Überschuldung.
Die „Big Six“ der häufigsten Überschuldungsgründe in Deutschland sind Krankheit, Arbeitslosigkeit, Einkommensarmut, Konsumverhalten, Scheidung/Trennung und gescheiterte Selbstständigkeit. Die Tendenz bei allen Kategorien ist sinkend, ausschließlich Krankheit steigt merklich an. Krankheit wird in dieser Statistik zum Jahr 2024 als ein plötzliches, unvorhersehbares Ereignis angesehen, im Gegensatz zu sogenannten vermeidbaren Verhaltensweisen.
Bei Jugendlichen U25 ist zwar das Konsumverhalten an erster Stelle, die generelle Überschuldung aber oft noch nicht so hoch. Impulskäufe, Statussymbole & Soziale Medien-Einflüsse, BNPL („Buy now, pay later“), Online-Shopping oder schnelle Kreditabschlüsse sind häufige Gründe für die Ansammlung von Schulden. Zahlungsfristen bei Abos und Verträgen werden häufig versäumt, typische Beispiele dafür sind Smartphone-Finanzierungen, Mode und Gaming-Abos. Baumann betont hier jedoch, dass oft vergessen wird, dass Konsum eine wichtige Form der Teilhabe und der Zugehörigkeit darstellt – insbesondere bei Jungen Menschen. Der Schritt in die Schuldenberatung steht oft am Ende eines langen Prozesses und hat viel mit Mut zu tun. Die Abbruchrate von 18-24jährigen bei der Schuldenregulierung ist mit 33,33 % viel zu hoch. Bleiben sie jedoch in Beratung, zeigt sich in Deutschland eine erfolgreiche Teil- oder Gesamtregulierung der Schulden von knapp 10 % – wesentlich höher als in allen anderen Alterssparten.
Ein typisches Beispiel zur Überschuldung liest sich beispielsweise so:
Selin, 22, hat ihre Ausbildung als Friseurin abgeschlossen und wird nach der Probezeit nicht übernommen. Ihre Bewerbungen bleiben erfolglos, nach drei Monaten sind alle Rücklagen aufgebraucht. Staatliche Zuschüsse, die sie beantragt, reichen nicht aus, die laufenden Fixkosten zu decken. Rechnungen für Handy und Strom bleiben offen, es folgen Mahnungen, Sperrungen und Kontoschulden. Schulden bei Freund:innen, sogenannte informelle Schulden, kommen besonders bei Jungen Menschen wie Selin häufig vor und steigen von Monat zu Monat rasch an. Die Statistik spiegelt das allerdings nicht wider.
Lösungen werden in einer besseren Vermittlung von Finanzbildung und der Begleitung während der ersten Erfahrungen bei Miet-, Strom-, Internetzahlungen gesehen. Deutschland blickt neidvoll auf die österreichische Finanzbildungsstrategie – wir blicken neidvoll auf den jährlich publizierten Überschuldungsreport Deutschland.
Ihr Vortrag endete mit einem Leuchtturmprojekt aus Tübingen: Eine niederschwellige Jugend-Schulden-Beratungsstelle, die teils aufsuchend, über WhatsApp kommunizierend und sich den Bedürfnissen der Zielgruppe anpassend arbeitet – und nicht umgekehrt.
Offen bleibt, ob „buy now, pay later“ und/oder Mehrfachverträge geregelt gehören und wenn ja, nationalstaatlich oder auf EU-Ebene? Wir wissen dank Clara Baumann, dass „pre-paid“ vor „buy now, pay later“ steht und, dass das Löschen der Klarna App alleine das Problem nicht löst.
In der Mittagspause gab es unisono Lob für die Präsentationen und die Qualität der Gerichte, und ich habe den Satz gehört: „Ich war noch nie auf einer Tagung, wo man aus zwei warmen veganen Gerichten hat wählen können!“.
Nach der Mittagspause wurden aktuelle Herausforderungen in drei parallel stattfindenden Panels diskutiert und ausgetauscht:
Panel 1
„Junge Erwachsene auf ihrem Weg begleiten: Das Potenzial sozialer Mentoring-Programme“ wurde von Eva Rosevich (Hands on Mentoring Verein Wien) und Eberhard Raithelhuber (Bertha von Suttner Privat-Universität St. Pölten) abgehalten.
Soziale Mentoring- und Patenschaftsprogramme bringen nicht so erfahrene Menschen mit erfahrenen freiwilligen Mentor:innen zusammen, die sie persönlich begleiten, Wissen teilen, Kontakte herstellen und neue Perspektiven eröffnen (mehr dazu in unserem [um]bruch:BLOG vom Jänner 2025). Das stärkt das Selbstvertrauen der Mentees und unterstützt sie darin, ihre Übergänge im Lebenslauf selbst zu gestalten. Studien zeigen, dass Mentoring soziale Teilhabe fördert und die berufliche Integration verbessert. Das Panel beschäftigte sich mit funktionierenden Programmen, worauf es dabei ankommt und mögliche Grenzen. Wichtiger Fokus sowohl bei diesem als auch bei den anderen Panels war stets, gemeinsam zu überlegen, wie sich die Inhalte im eigenen Arbeitsfeld umsetzen lassen.
Panel 2
Zum Thema „Extremismus bei Jugendlichen & jungen Erwachsenen – Soziale Arbeit und Radikalisierung“ kam Alexander Fontó (Beratungsstelle Extremismus/bOJA) als Vortragender zum Fachtag.
Das Bewusstsein für den Zusammenhang gesellschaftspolitischer Dynamiken und Radikalisierungstendenzen wurde hier geschärft: Extremismus gewinnt erst in der Betrachtung seines Kontextes an Bedeutung und Relevanz und lebt von der Diskursverschiebung „wir versus sie (die anderen)“. Es ist jedoch wichtig einen Diskurs zu halten.
Dabei ist es wichtig in der Prävention zu arbeiten. Radikalisierung ist immer ein Prozess auf verschiedenen Ebenen. „Speedradikalisierung ist Bullshit – das passiert nicht von heute auf morgen“, fasste Fontó prägnant zusammen. Wir müssen Ursachen wie Unzufriedenheiten und nicht gestillte Bedürfnisse bearbeiten und nicht die Symptome bekämpfen. In einem anderen Themenfeld bedeutet das: „Bekämpfe die Armut und nicht die Armen“.
Und ganz grundsätzlich sollten wir uns fragen: „Haben wir verlernt zu streiten?“ und hierbei bedenken: in sozialen Medien entsteht kein Diskurs.
Panel 3
„'hard to reach' und 'high risk'? Herausfordernde Beziehungsarbeit mit Jugendlichen und Jungen Erwachsenen" wurde von Maresi Kienzer (Vorstandsmitglied [um]bruch:stelle & Einrichtungsleitung JUCA), Marlene Udovc (Peer-Mitarbeiterin Wiener Wohnungslosenhilfe – JUCA) und Smilla Sporrer (Wissenschaftliche Mitarbeiterin [um]bruch:stelle) durchgeführt.
Den Einstieg machte die Erfahrungsexpertin Marlene, gefolgt von einem kurzen Input zu „hard to reach“ und „high-risk“. Danach ging es in eine Art “Speed Dating” mit den 48 Teilnehmenden, um den Austausch anzuregen und mögliche Schnittstellen aufzudecken.
Im Zuge des Speed Datings wurde geteilt, was in der Praxis funktioniert und darüber nachgedacht, ob das Angebot, in dem man arbeitet, sich noch in Richtung der Bedarfe der Zielgruppe entwickeln kann und soll. Fragen dabei waren z.B.: Wie funktioniert in dem Angebot, in dem ich arbeite, die Beziehungsarbeit und der Kontakt? Sind die Personen schwer zu erreichen, oder sind unsere Hilfsangebote schwer zugänglich? Denken wir zu defizitorientiert und/oder fehlt es an Anreizen?
Als [um]bruch:stelle hören wir auch häufig die Frage: „Sind nicht alle Jungen Erwachsenen hard-to-reach?“.
Wir wissen: aufsuchende Angebote, niederschwellige Zugänge, unmittelbare Hilfen und Scham-Abbau helfen, sie zu erreichen. Peer-Ansätze ergänzen hier sehr gut und insgesamt läuft es am besten über Beziehungsaufbau und -kontinuität. Stellen wir uns vor, wir hätten ein “One Stop”-Angebot, mit einem “No Wrong Door"-Mindset und einer “Open Door”-Policy.
Die Ergebnisse des Speed Datings wurden gesammelt und sind auf der Tagungswebsite zu finden.
Im Anschluss an die Panels fuhr Joachim Klein (IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe) im großen Plenum mit seinem Vortrag „Nachhaltigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe: Leaving Care[i] und eine Sozialpädagogik des Übergangs“ fort. Er berichtete, mit welchen Herausforderungen sich Care Leavers[ii] konfrontiert sehen und wie wissenschaftliche Ergebnisse, politische Entscheidungen und die Gesetzgebung wesentlich zum Wohle Junger Erwachsener beitragen können.
Schon seit dem Inkrafttreten des Jugendstärkungsgesetzes in Deutschland 2021, blicken wir in Österreich mit Neid auf den dadurch etablierten wichtigen Rechtsrahmen, den wir schon lange als notwendig erachten. Das Gesetz beinhaltet das Recht auf Verlängerung der Kinder- und Jugendhilfen über das 18. Lebensjahr hinaus, ein Rückkehrrecht, und ein bundesweites Gesetz, dass den föderalistischen Fleckerlteppich aushebt.
Ernüchternd war die Erkenntnis, sowohl im Forschungsteam von Joachim Klein als auch im Publikum des Fachtags, wie wenig davon in der Praxis ankommt und umgesetzt wird. Es herrscht eine Willkür in der Bewilligungspraxis, oftmals abhängig von der Person, die den Antrag ausstellt oder bewilligt, oftmals abhängig von den momentanen budgetären Gegebenheiten. Dass sich dieses Bild in Österreich nicht viel anders darstellt, wurde durch die Reaktionen des Publikums deutlich. Eine von Kleins Forschungen zwischen 2017-2019 zeigt, dass Krisen und schwierige Situationen bei 62 % der Care Leavers im ersten Jahr nach der Beendigung der stationären Hilfen auftraten. Ein bis drei Jahre nach Beendigung waren es 29 %, und nach mehr als drei Jahren immer noch 9 % der Jungen Erwachsenen, die zum Zeitpunkt der Forschung keinen gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung bei diesen Schwierigkeiten hatten.
Geben wir den jungen Menschen also wirklich eine faire Chance, wenn wir die Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe mit 18 beenden? Ist der hohe Leistungs- und Zeitdruck, gepaart mit finanziellen Engpässen, geringeren Bildungschancen bei zeitgleich hohen Wohn- und Lebenserhaltungskosten inmitten einer Teuerung wirklich stemmbar?
Markante Wirkfaktoren für einen gelingenden Start ins Erwachsenenleben liegen in einer qualitativ hochwertigen Vorbereitung auf die Verselbstständigung, der Art der Beendigung und des Übergangs und in der bereits mehrfach erwähnten Beziehung. Das zeigen sowohl die Studie als auch die Erfahrungen aus der Praxis.
Wir müssen jedenfalls aufhören den 18. Geburtstag und die gesetzliche Volljährigkeit als naturgegebenen Zustand der Selbstständigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit zu sehen. Junge Erwachsene brauchen hier noch viel Unterstützung. Warum erfinden wir nicht eine Jungerwachsenenhilfe und schreiben auch in Österreich ein Stärkungsgesetz?
Abschließend präsentierten Florian Eder, Gründungsmitglied und Mitarbeiter der [um]bruch:stelle, und Philipp Schnell von der ÖAW (Österreichischen Akademie der Wissenschaften) das Projekt Upstream Austria. Dabei handelt es sich um das im September 2025 gestartete Innovationsprojekt der [um]bruch:stelle, gefördert vom FFG (Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft), welches sich der Prävention von Wohnungslosigkeit bei Jungen Menschen in Schulen widmet. Details hierzu können auch im [um]bruch:BLOG vom Mai 2025 nachgelesen werden.
Was bleibt zum Abschluss zu sagen?
Wir haben viel gehört und gelernt. Wir hoffen, einiges davon inspiriert zu neuen Ansätzen und/oder Weiterentwicklungen. Wir danken allen Teilnehmenden fürs Kommen und unseren Kooperationspartner:innen für Ihre Unterstützung.
Sämtliche Unterlagen zum diesjährigen Fachtag findet ihr auf unserer Website unter www.umbruchstelle.at/fachtag2025.
Wir hoffen euch spätestens beim nächsten Fachtag der [um]bruch:stelle wiederzusehen!

Tom Adrian ist ausgebildeter Sozialarbeiter und leitet seit 2015 die Jugendnotschlafstelle a_way in Wien. Er hat Expertise zu Fachthemen wie Care Leavers, NEETs und Jugendliche und Junge Erwachsene am Übergang zur Volljährigkeit und Co-Moderiert die Arbeitsgruppe Junge Wohnungslose in Wien. Er ist Vorstandsmitglied der [um]bruch:stelle.
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[i] Mit der Bezeichnung Leaving Care wird der Übergang aus der stationären Betreuung in der Kinder- und Jugendhilfe ins Erwachsenenleben beschrieben.
[ii] Als Care Leaver werden junge Menschen bezeichnet, die ihre Kindheit zumindest teilweise in der stationären Kinder- und Jugendhilfe („care“) verbracht haben, und entweder kurz vor oder nach dem Verlassen („to leave“) dieser stehen (vgl. Sievers et al. 2021). Mehr zu dieser Zielgruppe findest du in unseren [um]buch:BLOG-Artikeln vom Februar 2024 und Februar 2025.
Da es im deutschen Sprachraum keine Alternative zum englischen Begriff Care Leaver gibt, hat sich die [um]bruch:stelle entschieden den Begriff im englischen Original, im Singular und Plural, ohne deutscher gendergerechter Endung zu verwenden.






