Upstream Austria: Frühzeitige Prävention junger Wohnungslosigkeit nach internationalem Vorbild
- Philipp Schnell, Florian Eder
- 12. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Mai
Ein Beitrag von:
Eder Florian, Gründungs- und Vorstandsmitglied der [um]bruch:stelle sowie Projektleitung „Upstream Austria“ ,
Sporrer Smilla, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der [um]bruch:stelle, und
Schnell Philipp, Post-Doc an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Erfahrungsberichte aus Österreich und internationale Studien [2] deuten darauf hin, dass eine Vielzahl wohnungsloser Menschen schon in jungen Jahren erste Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit macht. Dennoch existiert in Österreich bislang keine systematische, frühzeitige Prävention für Junge Wohnungslosigkeit.

Stattdessen konzentrieren sich bestehende Angebote meist auf die Verminderung von Leid, wenn der Notfall schon eingetreten ist. Jugendnotschlafstellen, mittlerweile schon in fast jedem Bundesland etabliert, Beratungsstellen für Junge Wohnungslose und selbst Housing First-Programme können verhindern, dass Junge Erwachsene auf der Straße schlafen müssen – in der Regel jedoch nicht, dass diese überhaupt wohnungslos werden. Umgekehrt sind viele niederschwellige Angebote für Jugendliche am Übergang ins Erwachsenenalter (z.B. Jugendzentren) nicht ausreichend spezialisiert um drohende, akute oder auch verdeckte Wohnungslosigkeit angemessen zu adressieren.
Dabei wären frühzeitige, präventive Maßnahmen von besonderer Bedeutung. Denn: je länger ein junger Mensch obdachlos ist, desto schwieriger wird die Unterstützung hin zu einer stabilen Wohnsituation. Ohne frühzeitige Intervention droht junge Wohnungslosigkeit zu einem dauerhaften oder wiederkehrenden Ereignis zu werden.
„Upstream Projekte“ – eine internationale Erfolgsgeschichte zur frühzeitigen Prävention
Das Forschungs- und Innovationsprojekt „Upstream Austria“ der [um]bruch:stelle setzt genau hier an. In Anlehnung an einer Vielzahl international erfolgreicher Upstream-Programme[i], wird ein Instrument zur Identifikation von und passgenauen Unterstützung bei drohender oder verdeckter Wohnungslosigkeit entwickelt. Unter dem Namen „Geelong Projekt“ hat diese Idee ihren Ursprung in Australien. Aufgrund des Erfolgs wird das Modell inzwischen in einigen Ländern, u.a. Kanada, Großbritannien und Belgien[ii], an die jeweiligen Schulsysteme angepasst und umgesetzt. Die ersten Ergebnisse dieser Projekte sollen im Folgenden kurz dargestellt werden:
Australien [3,4]
Schon wenige Jahre nach Umsetzung des Geelong Projekts verringerte sich in der Projektregion Junge Wohnungslosigkeit signifikant. Bei rund 6 % der Schüler:innen wurde erhöhtes oder hohes Risiko für Wohnungslosigkeit festgestellt. Angemessene und frühzeitige Interventionen reduzierten die Zahl jener Jugendlicher, die Unterstützung in der regionalen Wohnungslosenhilfe suchen mussten, um 40%. Zusätzlich brachen 20% weniger Jugendliche die Schule frühzeitig ab.
Kanada [8]
In Kanada nahmen über 600 Schüler:innen aus zwei Mittelschulen am Pilotprojekt Upstream Canada teil. Bei 266 Schüler:innen wurde eine Gefährdungslage festgestellt. Besonders bemerkenswert: Bei 60 % der Schüler:innen wäre die Gefährdungslage ohne das Assessment nicht erkannt worden.
Wales [5-7,9]
Um das Potential für die Umsetzung eines Upstream Projekts auszuloten, wurde eine Vorstudie mit mehreren Umfragen durchgeführt. Die Zahlen des Upstream Cymru Pupil Survey[iii] zeigen:
Etwa 15 % der Schüler:innen waren unmittelbar oder stark von Jugendobdachlosigkeit bedroht.
3 % der Schüler:innen gaben an, im vergangenen Jahr mindestens einmal obdachlos gewesen zu sein.
7 % der Schüler:innen, bei denen in der ersten Umfrage ein geringes Risiko für Jugendobdachlosigkeit festgestellt worden war, waren bei der erneuten Befragung stark/unmittelbar von Jugendobdachlosigkeit bedroht.
Schottland [1]
An sechs Pilotschulen in zwei Jahrgangsstufen wurde Upstream Scotland durchgeführt. Rund jede:r zehnte Jugendliche zeigte ein gewisses Risiko für Wohnungslosigkeit auf. Bei jeder/jedem zwanzigsten Jugendlichen war das Risiko stark erhöht oder wurde unmittelbarer Handlungsbedarf festgestellt.
Wir freuen uns ab September 2025 zum ersten Mal das Upstream-Konzept nach Österreich zu bringen! Unser Forschungsprojekt Upstream Austria wird größtenteils im Rahmen des Calls “Wirksam Werden - Soziale Innovationen gegen Kinder- und Jugendarmut” der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert, und von der [um]bruch:stelle gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführt. Mehr Informationen zur Funktionsweise von Upstream-Projekten und unserer Adaption für den österreichischen Kontext findest du auf unserer Projektseite von Upstream Austria.
Wir freuen uns über die Möglichkeit, Wissenschaft und Praxis auf diese Weise zu kombinieren, um einer gesicherten Zukunft für Junge Erwachsene ein Stück näher zu kommen.
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Bibliografie:
Ayed, Nadia; Fitzpatrick, Suzanne; Mackie, Peter; und Thomas, Ian. 2025. Upstream Scotland. Pilot Evaluation. Interim Report.: Heriot Watt University.
Flatau, Paul; Conroy, Elizabeth; Spooner, Catherine; Edwards, R.; Eardley, Tony; und Forbes, C. 2013. Lifetime and intergenerational experiences of homelessness in Australia.
MacKenzie, David. 2018. The Geelong Project 2016 - 2017. Interim Report. Geelong: Barwon Child, Youth and Family.
MacKenzie, David; Hand, Tammy; und Gill, Peter. 2024. The ‘Community of Schools and Services’ (COSS) Model of Early Intervention: A System-Changing Innovation for the Prevention of Youth Homelessness. Youth 4: 1305-1321.
Mackie, Peter; Austin, Sam; Beecher, Frances; Doherty, Erin; und Harries, Talog. 2021. The Upstream Cymru Story: A Tale of International Exchange, Collaboration and Persistence. Parity 34: 55-57.
Mackie, Peter; Doherty, Erin; und Thomas, Ian. 2021. Upstream Cymru Pupil Survey: Initial Findings Report. Cardiff: Cardiff University.
Mackie, Peter; Doherty, Erin; und Thomas, Ian. 2022. Preparing for implementation of Upstream Cymru . Identifying local authority youth homelessness trends and priority schools. Upstream Cymru.
Sohn, Jacquelin, und Gaetz, Stephen. 2020. The Upstream Project Canada: An Early Intervention Strategy to Prevent Youth Homelessness & School Disengagement. Toronto: Canadian Observatory on Homelessness Press.
Thomas, Ian; Mackie, Peter; und Hill, Lauren. 2024. Upstream Cymru Pupil Survey. Findings Report: September 2020 - May 2024: Upstream Cymru.
[i] „Upstream“, zu Deutsch flussaufwärts, bedeutet hierbei nichts anderes als frühzeitig. Der Begriff orientiert sich an einer Typologisierung britischer Forscher:innen, welche fünf mögliche Zeitpunkte zur Prävention von Obdachlosigkeit unterscheidet. Zur Veranschaulichung nutzt sie die Metapher eines Flusses.
[ii] Für das Upstream-Projekt in Belgien gibt es zum aktuellen Zeitpunkt noch keine genaueren Informationen, die wir hier teilen könnten.
[iii] In den Tagungsunterlagen zur Fachtagung zum International Care Day 2024, den die [um]bruch:stelle mitorganisierte, kannst du im Vortrag von Peter Mackie weitere Details zum Upstream-Modell von Wales nachlesen: https://www.umbruchstelle.at/careday2024