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AutorenbildJulia Brož & Maja Markanović-Riedl

Gewaltschutz: Neue Angebote für junge Frauen

ein Beitrag von Julia Brož, Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser, und Maja Markanović-Riedl, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser

 

 

Mit Jänner 2023 eröffnete in Wien ein Frauenhaus, das spezifisch auf die Bedürfnisse junger, gewaltbetroffener Frauen ausgerichtet ist. Warum bedarf es für diese Zielgruppe eines speziellen Konzepts? Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass junge Frauen andere Erfordernisse in der professionellen Beziehungsarbeit haben. Sie zeigt weiters, dass spezifische Bedürfnisse (wie z.B. die Unterstützung bei der Alltagsbewältigung) im Rahmen eines „großen“ Frauenhauses, in dem die Mehrheit der Bewohnerinnen ein Stück älter ist, eigene Kinder hat und an einem ganz anderen Punkt im Leben steht, nicht immer ausreichend abgedeckt werden. Dazu kommen minderjährige junge Frauen, die aufgrund ihres Alters nicht aufgenommen werden konnten, allerdings wegen ihrer Bedrohungssituation auch Schutzmaßnahmen eines Frauenhauses brauchen.

 

Ein Frauenhaus für Mädchen und junge Frauen von 16-25Jahren

Im Wiener Frauenhaus für Mädchen und junge Frauen (in dieser Form das aktuell einzige in Österreich) werden Frauen von 16 bis 25 Jahren aufgenommen, die Partnergewalt oder innerfamiliäre Gewalt erleben und den Schutz eines Frauenhauses suchen. Die Aufnahme der minderjährigen Frauen ermöglicht die Bewilligung der Einrichtung als sozialpädagogische Einrichtung durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe. Der Zugang erfolgt, wie in den anderen Wiener Frauenhäusern, über den vereinseigenen zentralen Notruf.


Bis zu 14 junge Frauen werden durch ein Team unterstützt und begleitet, das aus ausgebildeten Sozialpädagoginnen bzw. Sozialarbeiterinnen - teilweise mit Zusatzausbildungen - besteht. Inmitten ihrer Identitätsfindung stehend und oft erstmals in der Situation, sich frei zu fühlen, zeigt die Erfahrung der ersten zwei Jahre, dass die jungen Bewohnerinnen diese neue Freiheit gerne auch leben möchten – dabei aber oftmals ihre Gefährdungssituation nicht berücksichtigen oder auch rasch in Fragen der Alltagsbewältigung an ihre Grenzen stoßen. Zudem ist das Frauenhaus eine Krisenschutzeinrichtung mit begrenzter Aufenthaltsdauer von etwa einem halben Jahr, somit müssen sich die jungen Frauen darauf einstellen, diesen - oft ersten - Ort der Sicherheit nach wenigen Monaten wieder zu verlassen.

 

Innerfamiliäre Gewalt dominiert, Gewalt von (Ex-)Partnern weiterhin hoch

In den ersten eineinhalb Betriebsjahren wurden über 140 junge Frauen im Mädchenhaus aufgenommen. Im Unterschied zu den „großen“ Frauenhäusern ab 18 Jahren, sind die Gefährder meist Eltern (Väter) oder Brüder; doch bei immer noch 35% der jungen Frauen handelt es sich um den (Ex-)Partner, von dem die Gewalt ausgeht. Auch werden deutlich weniger Frauen mit Kindern aufgenommen; dies ist aufgrund der Altersgruppe nicht überraschend. Für die Bedürfnisse der jungen Mütter und mitaufgenommenen Kinder sind die Kolleginnen des Kinderbereichs im Frauenhaus zuständig.

 

Engmaschige interdisziplinäre Begleitung und Beziehungsarbeit als Schlüssel

All dies erfordert eine engmaschige und interdisziplinäre Begleitung und eine Abwägung der wichtigen und stützenden Beziehungsarbeit im Verhältnis zum vorübergehenden Aufenthalt. Neben der klassischen sozialarbeiterischen Beratung des Frauenhauses (Gewaltschutzmaßnahmen, Einkommenssicherung und dgl.) und der sozialpädagogischen Begleitung, finden im Frauenhaus zahlreiche Gruppenangebote und Workshops statt: vom gemeinsamen Garten-Bepflanzungsprojekt, Workshops zu Körper und Sexualität, Ausflügen und Gesprächsrunden, bis hin zum gemeinsamen Kochen mit der Hauswirtschafterin.


Die engmaschige Begleitung erfordert intensive Zusammenarbeit mit anderen Organisationen: mit der Kinder- und Jugendhilfe und Mädchenberatungsstellen. Dazu kommen Einrichtungen, die die psychische Gesundheit unterstützen, und sicherheitsrelevante Stellen wie die Polizei, im Kontext der Gefährdung und Sicherheitsplanung.

 

Annahme spezifischer Bedürfnisse junger Frauen bestätigen sich

Die ersten zwei Jahre Mädchenhaus haben gezeigt, dass die meisten Annahmen vor dessen Eröffnung richtig waren. Junge gewaltbetroffene Frauen haben spezifische Bedürfnisse, die ein spezielles Konzept und einen speziellen Umgang erfordern. Gibt es den Rahmen dafür, so wird das Angebot angenommen und für die jungen Frauen ein Ort geschaffen, an dem sie oft erstmals angstfrei und in Sicherheit sie selbst sein dürfen.

 

Frühzeitige Prävention: BAKHTI - Zentrum für EmPOWERment

Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) setzen hier noch einmal einen Schritt früher in der Primärprävention an. Im Februar 2023 wurde gemeinsam mit der Wiener Interventionsstelle (mittlerweile Gewaltschutzzentrum Wien) BAKHTI - Zentrum für EmPOWERment gegründet. Zusammen wurde ein Konzept erarbeitet, das jugendliche und junge Frauen im Kontext von Mehrfachdiskriminierung und anderen Formen von Gewalt empowert. Das feministische Angebote für Mädchen und junge Frauen im Bereich des Opferschutzes und der Gewaltpräventionsarbeit schließt damit eine Versorgungslücke. Durch umfassende und nachhaltige Selbstermächtigung von Frauen wird Gewaltbetroffenheit direkt adressiert bzw. dieser weitgehend vorgebeugt.


Zur Stärkung des Selbstwertgefühls, der Selbstbestimmung und der Sensibilisierung von Jugendlichen gegenüber Gewalt verschrieb sich BAKHTI dem EmPOWERment-Ansatz. EmPOWERment bei BAKHTI heißt, junge Frauen in ihrer Selbstachtung zu stärken und sie auf ihrem Lebensweg zu unterstützen. Dies kann bedeuten, Informationen in den Bereichen Bildungslaufbahn, Berufswahl und berufliche Entwicklung bereitzustellen, über Rechte und politische Teilhabe zu informieren und Freizeitaktivitäten sowie Kreativangebote anzubieten.

 

Reflexion intersektionaler Diskriminierungserfahrungen als Baustein der Gewaltprävention

Die Aktivitäten im BAKHTI - Zentrum für EmPOWERment bieten Mädchen und jungen Frauen Unterstützung auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Neben der Reflexion des Genderaspekts werden in der täglichen Arbeit auch Faktoren wie Herkunft, sozialer Status, Bildungsniveau, Gesundheit und sexuelle Orientierung integriert und kritisch hinterfragt. Dies spiegelt die intersektionale Haltung des Teams wider: Es wird die gleichzeitige Betroffenheit, Überschneidung und Zusammenwirkung verschiedener Diskriminierungsformen erkannt und reflektiert. Um den Mädchen und jungen Frauen bei BAKHTI einen geschützten Rahmen zur Reifung und Entwicklung anzubieten, wird das Zentrum für EmPOWERment im 15. Wiener Gemeindebezirk als Safer Space geführt.

 

Wie patriarchalen Strukturen auch bei jungen Burschen Leid verursachen

Um Gewalt geschlossen primärpräventiv entgegenzutreten, ist neben dem Angebot BAKHTI – Zentrum für EmPOWERment für Mädchen und junge Frauen ein zweiter Arbeitsbereich entstanden: BAKHTI – EmPOWERment gegen Gewalt. Angebote für Burschen und junge Männer. Denn junge Männer und Burschen leiden oftmals selbst unter patriarchalen Strukturen und sind von Gewalt betroffen.


Sich mit dieser Gewaltbetroffenheit auseinanderzusetzen, ist nicht einfach: Die Betroffenen verschließen sich und neigen dazu, kaum über Erlebtes zu sprechen. Das kann daran liegen, dass veraltete oder patriarchale Rollenbilder transportiert werden oder Vorbilder im Umfeld fehlen, die Geschlechterrollen reflektieren und Männlichkeiten* hinterfragen. Darum bietet BAKHTI – Unterstützung für Burschen und junge Männer kostenlos und niederschwellig an. Es wird ein vertrauensvoller Raum geschaffen und Hilfestellungen werden bereitgestellt, um Burschen und junge Männer zu unterstützen, die von direkter oder indirekter Gewalt betroffen sind.


Das Ziel ist, sie auf ihrem Lebensweg und in alltäglichen Situationen zu stärken. Durch gezielte Bildungsarbeit im Workshopformat wird ferner ein positives Selbstbild und soziale Kompetenzen, feministisches Wissen über Geschlechterrollen sowie zu Identitätsfragen und Gewaltfreiheit vermittelt.


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Maja Markanović-Riedl hat viele Jahre Erfahrung in der Sozialen Arbeit. Zuletzt war sie Einrichtungs- und Fachbereichsleiterin im Bereich Wohnungslosenhilfe und Wohnungssicherung. Seit Anfang des Jahres ist Maja Markanović-Riedl Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser.

 




Julia Brož ist ausgebildete Sozialarbeiterin und hat langjährige Beratungserfahrung mit gewaltbetroffenen Frauen. Seit April 2024 ist sie Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser.

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