Erfahrungen Junger Erwachsener mit der U25-Servicestelle
ein Beitrag von Doris Moravec, Vorstands- und Gründungsmitglied der [um]bruch:stelle

Foto von Gabrielle Henderson auf Unsplash
In schwierigen Lebensphasen und Krisen sind Menschen häufig auf die Unterstützung anderer angewiesen. Junge Erwachsene, deren Kindheit und Jugend von komplexen familiären Herausforderungen geprägt war, sehen sich allerdings häufig mit einem reduzierten sozialen Netz konfrontiert. Gleichzeitig kann es schnell passieren, dass eine Krise der nächsten folgt. So kann durch den Verlust einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle rasch auch die Wohnsituation gefährdet sein [5] – insbesondere dann, wenn aufgrund atypischer Erwerbstätigkeiten, in welchen sich Junge Erwachsene häufig wiederfinden [4], kaum Geld angespart werden konnte.
Eine Möglichkeit der Unterstützung soll hier die 2021 etablierte Servicestelle U25 bieten, welche „Leistungen des AMS Wien, der MA 40 der Stadt Wien und weiterer Kooperationspartner:innen (wie Fonds Soziales Wien, Koordinationsstelle Jugend-Bildung-Beschäftigung, Koordinationsstelle AusBildung bis 18 Wien, usw.)“ an einem Ort vereint, um Jugendlichen und Jungen Erwachsenen zwischen 15 und 25 Jahren umfassende Unterstützung zu bieten. [1]
Diesen Monat haben wir drei Junge Erwachsene zum Interview getroffen, und sie nach ihren Erfahrungen mit dem U25 gefragt:
Max[i] hat den Großteil seiner Kindheit und Jugend in stationärer Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) verbracht. Seine Geschichte ist gekennzeichnet von familiären Problemen. Als Teenager wird er drogenabhängig, kann keinen Ausbildungsplatz halten. Heute ist er clean – aber abgeschlossene Ausbildung hat er keine. Verletzt, verwundert und wütend erzählt er davon, wie seine KJH-Einrichtung seine Betreuung einen Tag vor seinem 18. Geburtstag beendete: weil sie ab morgen nicht mehr dafür finanziert würden.
Max ist heute keine zwanzig Jahre alt, sein höchster Bildungsabschluss ist die Pflichtschule, er ist aktuell wohnungs- und arbeitslos.
Vor zwei Monaten hat er einen Antrag auf Mindestsicherung bei der MA 40 gestellt. Ein Sozialarbeiter der Wohnungslosenhilfe hat ihm dabei geholfen. Allein hätte er das nicht geschafft, sagt er. Zurzeit ist der Antrag noch in Bearbeitung. Sie haben nach fehlenden Dokumenten gefragt – ihm ist nicht klar, worum es geht. Im Gespräch stellt sich heraus, dass es um sein Erspartes geht. Die KJH spart Familienbeihilfe und andere Beträge (z.B. (Halb-)Waisenpensionen) für ihre Klient:innen an. Nach dem Auszug, meist mit Volljährigkeit, werden ihnen diese übergeben. Dies soll ihnen den oftmals allein zu bewältigenden Start ins Erwachsenenleben etwas erleichtern. Bei manchen Jungen Erwachsenen kann hier, vor allem wenn sie viele Jahre in Betreuung waren, eine beachtliche Summe zusammenkommen. Ein Antrag auf Wiener Mindestsicherung ist allerdings nur möglich, wenn die Person maximal € 6.935,04 an verwertbarem Vermögen besitzt [3] – das übersteigt sein Erspartes. Da Max aber aktuell keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch das AMS hat, müsste er also – so sieht es das System vor – zuerst von seinem Ersparten leben, bis er diese Vermögensfreibetragsgrenze unterschreitet, um Mindestsicherung beziehen zu können. Dies hieße allerdings auch, dass er sich selbst versichern müsste – denn ohne AMS- und Mindestsicherungsbezüge hat Max aktuell keinen Versicherungsschutz.
Care Leavers[ii] wie Max sehen sich am systemisch häufig sehr früh angesetzten Übergang in die Selbständigkeit mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert (siehe BLOG-Artikel im Feb. 2024). Oftmals müssen die vielen Veränderungen, die diese Zeit mit sich bringt, ohne unterstützendes soziales Netz bewältigt werden. Wie Martine Tobé am Care Day 2024 darlegte, braucht es die „Big Five“, um diesen Übergang gut meistern zu können: Unterstützung von verlässlichen Bezugspersonen, gesichertes & leistbares Wohnen, einen Platz in Schule, Ausbildung oder Arbeit, ein Einkommen bzw. ausreichend finanzielle Mittel und ein gewisses Maß an psychischer Stabilität [6].
Das Ersparte sollte für Max also zumindest den finanziellen Aspekt dieser „Big Five“ abdecken, ihn bei Herausforderungen stützen und ihm Sicherheit geben – insbesondere auch deshalb, weil er keine Familie hat, die ihm heute oder in naher Zukunft Unterstützung bieten kann. Stattdessen muss er nun zuerst auf diesen „Polster“ zurückgreifen, bevor er Ansprüche stellen kann.
Seit er 16 Jahre alt ist, ist Max auch beim AMS der U25-Servicestelle in Beratung. Als ich ihn nach seinen Erfahrungen frage, erzählt er von seinem letzten Termin: Sein Berater vermittelte ihm einen Deutschkurs. Max ist in Österreich geboren und aufgewachsen, hatte in der Schule immer gute Noten und spricht im Interview einwandfreies Deutsch. Warum also ein Deutschkurs?
Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass dies nicht das erste Mal ist, dass das AMS ihn falsch zubuchte: So wurde er z.B. auch für Probetage an Betriebe vermittelt, die gar keine freien Lehrstellen hatten.
Als Begründung für den Deutschkurs erklärte der Berater schließlich, dass Max ihm erst beweisen müsse, dass er diesen Kurs regelmäßig besuche, bevor er ihn an eine Lehrstelle vermittle.
Eine Logik, auf die wir in der Arbeit mit Jungen Erwachsenen schon öfter gestoßen sind: Wiederholt werden sie in Kurse vermittelt, die selbst von außen betrachtet wenig zielführend erscheinen, um „auszutesten“, ob sie sich an „die Regeln“ halten können. Wenn sie diese Kurse dann nur wenig besuchen oder unpünktlich sind, werden sie als unzuverlässig und faul abgestempelt. Über die Tatsache, dass solche „Alibi-Vermittlungen“ mehr intrinsische Motivationen stehlen als fördern, scheint dabei nicht nachgedacht zu werden.
Die zweite Gesprächspartnerin ist Jenny. Sie ist Anfang 20 und seit knapp zwei Jahren beim U25 in Betreuung, bezieht AMS-Geld und Mindestsicherung. Sie erlebt ihre AMS-Beraterin als unhöflich und unmotiviert: „Mir ist mein Leben schon wichtig, und wenn ihr das egal ist, dann sollen die mir halt wen anderes geben“. Wie Martina, eine weitere Interviewpartnerin, erzählt, ist ein Berater:innen-Wechsel aber gar nicht so einfach. Es bedarf mehrerer Beschwerden unterschiedlicher AMS-Kund:innen. Nach dem ersten misslungenen Versuch meldete sich Martina deshalb absichtlich für mehrere Wochen vom AMS ab, um bei neuerlicher Anmeldung die Chance auf eine:n neue:n Berater:in zu haben.
Jenny werden, wie auch Max, wiederholt Lehrstellen und Jobs zugewiesen, die nicht ihre Interessen widerspiegeln. Sie hat bereits eine Lehre abgeschlossen, will sich aber aus persönlichen Gründen umorientieren. Trotzdem muss sie sich auf Zubuchung der AMS-Beraterin immer wieder bei Stellen, die dem Lehrabschluss entsprechen, bewerben. Tut sie dies nicht, wird der AMS-Bezug gesperrt. Wiederholte Diskussionen führten zu keiner Verbesserung, und so wird die Macht der Beraterin für Jenny sehr spürbar: „Die tun halt so, als hätten sie mein Leben in der Hand“. Sie erzählt auch von Freund:innen die lieber auf das AMS-Geld verzichten, als weiter mit Erfahrungen dieser Art kämpfen zu müssen.
Martina wird dieses Jahr 25, ist seit zwei Jahren beim U25 in Betreuung und bezieht zurzeit Mindestsicherung und Notstandshilfe. Auf meine Frage nach ihren Erfahrungen erzählt auch sie von ihrem letzten Termin: Erst gestern war sie vor Ort. Nach ca. zwei Stunden warten in einer Schlange, die den gesamten Empfangsbereich füllte, wurde ihr erklärt, dass mittwochs ab 11 Uhr keine Sozialarbeiter:innen vor Ort seien, und sie ein anderes Mal wiederkommen müsse. Vorab habe ihr das niemand gesagt. Generell sei es schwierig, ohne Termin zu den eigenen Berater:innen durchzukommen. Auch wenn sie anruft, wird ihr keine Auskunft gegeben, wann ihre Berater:innen, sei es bei MA 40 oder AMS, wieder im Dienst sind. Andere Sozialarbeiter:innen der MA 40 können aber nur Kleinigkeiten erledigen, die schnell abgearbeitet sind. Wenn sie also zwischen vereinbarten Terminen etwas braucht, kann sie nur auf gut Glück hingehen.
Die Öffnungszeiten des U25 gestalten sich tatsächlich verwirrend: Da es keinen gemeinsamen Webauftritt von AMS und MA 40 im Rahmen des U25 gibt, müssen die AMS- und Wien.gv.at-Seite separat für die jeweiligen Öffnungs- und Beratungszeiten aufgerufen werden. Da bei einer schnellen Internetrecherche aber nicht sofort klar wird, dass es hier unterschiedliche Öffnungszeiten gibt, entstehen unnötige Wege und Frustration. Da besonders in der Arbeit mit der Zielgruppe der 15- bis 25jährigen die digitale Erreichbarkeit von Angeboten zentral ist, stellt sich die Frage, wieso unnötige Schwellen dieser Art nicht abgebaut werden.
Auch die langen Wartezeiten, bis Anträge bearbeitet werden, heben alle Interview-Partner:innen als belastend hervor. Per Gesetz muss die MA 40 innerhalb von drei Monaten das erste Mal auf einen Antrag „reagieren“ [2]. In der Praxis kann das z.B. durch eine Zur Kenntnisnahme des Antrags oder das Nachfordern fehlender Unterlagen stattfinden. Der fertige Bescheid kann dadurch durchaus länger auf sich warten lassen. Martina wartete knapp sieben Monate auf die erste Überweisung der Mindestsicherung. In dieser Zeit wäre sie mit dem AMS-Bezug alleine nicht zurecht gekommen, weshalb sie immer wieder Geld von Familie und Freund:innen ausleihen musste. Besteht kein Anspruch auf AMS-Bezüge und ist keine Mitversicherung über die Familie möglich, kommt es wie bei Max außerdem dazu, dass die Person während dieser Wartezeit ohne Versicherung da steht.
Obgleich sowohl Mindestsicherung als auch AMS-Bezüge rückwirkend ab dem Antragsdatum überwiesen werden, kommt es hier dennoch zu mehreren Monaten, in denen das „Mindeste“ eben nicht „gesichert“ ist. Die Gefahr, dass dadurch innerhalb von kurzer Zeit Schulden angesammelt werden, ist hoch. Eine Erfahrung, die Jenny und Martina teilen.
Die Gespräche mit den drei Jungen Erwachsenen zeigen, wie sehr sie angesichts ihres jungen Alters, aber insbesondere aufgrund eines fehlenden sozialen Netzes abhängig von den Informationen sind, die sie von Berater:innen erhalten – oder eben nicht erhalten. Martina machte bereits Erfahrung mit verschiedenen Berater:innen beim U25 und betont, dass Beratungen je nach Person sehr unterschiedlich ausfallen können: „Meistens liegt es halt nur an dieser EINEN Person. Manche sind echt hilfsbereit und helfen dir – manche nicht“.
Aber eigentlich sollte Glück nicht über den Ausweg aus der Armutsfalle entscheiden.

Doris leitet seit 2018 das Projekt Care Leaver Mentoring und seit Anfang 2023 berät sie im Rahmen der Care Leaver-Beratungsgutscheine Junge Erwachsene in Wien. Ihre Masterarbeit über Wohnerfahrungen,
-herausforderungen und -perspektiven junger erwachsener Care Leaver in Wien kann hier nachgelesen werden. Bei der [um]bruch:stelle übernimmt sie die Funktion der Obfrau-Stellvertreterin.
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Bibliografie
Arbeitsmarktservice. 2021. Historie des U25. https://www.ams.at/arbeitsuchende/u25/historie.
Sozialberatung Wien. 2023. Antrag auf Mindestsicherung. Wie & wo ist der Antrag zu stellen? Was ist sonst noch zu beachten? https://www.sozialberatungwien.at/antrag-mindestsicherung/.
Sozialberatung Wien. 2024. Berechnung der Mindestsicherung. Wie wird die Mindestsicherung berechnet? In welcher Höhe steht sie zu? https://www.sozialberatungwien.at/berechnung.
Statistik Austria. 2017. Junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Modul der Arbeitskräfteerhebung 2016. Wien: Verlag Österreich GmbH.
Stohler, Renate / Gehrig, Milena. 2014. Wohnen und Selbständigkeit: institutionelle Unterstützung prekärer Übergänge ins Erwachsenenalter. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit / Revue suisse de travail social 16, 94–109.
[um]bruch:stelle – Lobby zur Verbesserung der Lebenslagen Junger Erwachsener. 2024. Fachtagung zum International Care Day. „Endlich Volljährig – und jetzt?“. https://www.umbruchstelle.at/careday2024.
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[i] Alle Namen wurden von der Autorin geändert.
[ii] Da es im deutschen Sprachraum keine Alternative zum englischen Begriff Care Leaver gibt, hat sich die [um]bruch:stelle entschieden, den Begriff im englischen Original, im Singular und Plural, ohne deutscher gendergerechter Endung zu verwenden. Für eine Definition und weitere Ausführungen zu diesem Begriff: Siehe BLOG-Artikel vom Februar 2024.